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Das Katalanische und die katalanische Länder

von Hans-Ingo Radatz
Das Katalanische ist eine westromanische Sprache, die zwischen dem Okzitanischen und dem Aragonesischen bzw. Kastilischen steht. Während es im Mittelalter noch so viele Gemeinsamkeiten mit seiner Schwestersprache Okzitanisch aufwies, dass die frühe Romanistik Katalanisch für einen okzitanischen Dialekt hielt, hat es sich im Laufe der Jahrhunderte in Wortschatz, Morphologie und Syntax dem Spanischen angenähert, ohne dabei allerdings alle galloromanischen Züge verloren zu haben.

In folgenden Gebieten wird Katalanisch gesprochen: im eigentlichen Katalonien, dem Principat de Catalunya, im größten Teil des ehemaligen Königreichs València, der heutigen Comunitat Valenciana; in einem Streifen Aragóns entlang der katalanischen Grenze (der sogenannten Franja de Ponent); auf den Balearen und Pityusen, d.h. den Inseln Mallorca, Menorca, Eivissa (span. Ibiza) und Formentera, die zusammen die autonome Gemeinschaft Illes Balears bilden; außerhalb Spaniens zudem im französischen Département Pyrenées-Orientales (auch Nordkatalonien genannt), im Pyrenäenzwergstaat Andorra, wo es Staatssprache ist, und in der sardischen Stadt L’Alguer (it. Alghero). Das gesamte Sprachgebiet wird von katalanischen Nationalisten Països Catalans (Katalanische Länder) genannt – eine Bezeichnung, die eine ideelle Einheit eher stiften soll, als dass sie die völlig verschiedenartige sozio-kulturelle Wirklichkeit der einzelnen Gebiete widerspiegelte. Amtssprache ist das Katalanische im Principat, auf den Inseln, in Andorra und in València, wo es allerdings offiziell als „Valencianisch" bezeichnet wird.

Wenn das Katalanische an Bedeutung auch sicherlich hinter großen romanischen Sprachen wie Spanisch, Französisch oder Italienisch zurücktritt, so nimmt es doch andererseits unter den Regionalsprachen Westeuropas bezüglich seines demographischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gewichts eine Ausnahmestellung ein. Das Sprachgebiet umfaßt etwa 69.000 km2, was ungefähr der Fläche der Niederlande und Belgiens zusammen entspricht und etwa 12% des spanischen Territoriums ausmacht. Es hat eine Gesamtbevölkerung von nahezu 11 Millionen Einwohnern, was 27% der spanischen Gesamtbevölkerung entspricht. Die Gesamtsprecherzahl des Katalanischen beträgt nach niedrigsten Schätzungen 8, nach den höchsten 10,5 Millionen.  In katalanischer Sprache existieren mehrere Tageszeitungen, zahlreiche Radio- und Fernsehsender und eine Buchproduktion, die sich durchaus mit der anderer Länder gleicher Größe messen kann.


Im Gegensatz zu beinahe allen anderen europäischen Regionalsprachen ist Katalanisch eine alte Kultur- und Staatssprache, die bereits im Mittelalter voll ausgebaut war. Es entstanden nicht nur literarische Meisterwerke der Lyrik und der Prosa (z.B. die vier großen Chroniken oder das lyrische Werk eines Ausiàs March) sondern auch Sachtexte und wissenschaftliche Werke (Ramon Llull, Arnau de Vilanova). Die katalanische Sprachgeschichte ist daher nicht mit der Galiciens oder des Baskenlandes vergleichbar.


Die Grafschaft Barcelona, Keimzelle des späteren Katalonien, ging im 9. Jh. aus dem östlichen Teil der marca hispanica des Frankenreichs hervor. Die Stadt Barcelona entwickelte sich zu einer wichtigen christlichen Metropole der Iberischen Halbinsel und Katalonien erlebte als Kontaktgebiet zwischen Abend- und Morgenland eine kulturelle Hochphase. Um das Jahr 1000 zerbricht das Lehnsverhältnis mit der fränkischen Krone und die Grafschaft Barcelona wird de facto unabhängig. Der Rechtszustand ohne Anbindung an ein Königreich endet, als  Graf Ramon Berenguer IV. 1137 die aragonesische Thronerbin Peronella heiratet und damit in Personalunion König von Aragonien wird. Die so entstandene Katalano-Aragonesische Konföderation entwickelt sich in der Folge durch den Zugewinn süditalienischer Besitzungen sowie durch die Eroberung der Balearen und Valèncias zu einem komplexen politischen Gebilde aus verschiedenen, in Personalunion regierten Teilkönigreichen: der Corona d’Aragó. Der historische Name „Aragonesische Krone", oft sogar einfach nur „Aragonien", ist irreführend, da Aragonien in der Corona d’Aragó nur ein Teilkönigreich unter vielen und keineswegs das bedeutendste war. Das katalanische Element war sowohl sprachlich als auch politisch eindeutig dominant und so bietet sich als weniger irreführende Bezeichnung der Name Katalano-Aragonesische Konföderation an. Nachdem deren Reconquista durch die Expansion Kastiliens gebremst und an weiterem Territorialgewinn auf der Iberischen Halbinsel gehindert wurde, wandte sie sich der Schaffung eines mächtigen See- und Handelsimperiums im westlichen Mittelmeer zu.


Nach einer blühenden Epoche der katalanischen Kultur und Wirtschaft im Mittelalter bedeutete die Schwelle zur Neuzeit einen tiefen Umbruch. Bereits im Spätmittelalter verlagerte sich der Schwerpunkt des Kulturlebens von Barcelona, das ökonomisch an Bedeutung verlor, nach València. Seit 1410 ging zudem die katalano-aragonesische Krone auf eine kastilische Dynastie über, was den Beginn der Kastilianisierung weiter Kreise des katalanischen Adels bewirkte. Einschneidende Ereignisse waren die dynastische Union der Aragonesischen Krone mit Kastilien im Jahre 1479 und der Regierungsantritt des Habsburgers Karl I. 1516, der als erster Monarch über ganz Spanien herrschte. In dieser Zeit setzte der massive kulturelle Einfluß Kastiliens (Siglo de Oro) auf die Katalanischen Länder ein, die innerhalb Spaniens ihre politische Eigenständigkeit jedoch bewahrten. Die katalanische Sprache verlor zusehends ihre Bedeutung auf dem literarischen Sektor: So begann im 16. Jahrhundert die sogenannte decadència, der Verfall der katalanischsprachigen Literatur, der bis ins 19. Jahrhundert andauerte. Das Katalanische blieb trotz allem die einzige Alltagssprache der gesamten Bevölkerung.


Im Spanischen Erbfolgekrieg, als die Katalanischen Länder ein letztes Mal gemeinsam gegen das kastilische Spanien kämpften, verloren die Katalanen mit der militärischen Niederlage am 11. September 1714 endgültig ihre autonomen Rechte, und ihre Sprache wurde aus der Öffentlichkeit verbannt und sogar juristisch verfolgt. Zudem blieb die Katalanen lange vom Überseehandel ausgeschlossen, was indirekt zum vergleichsweise frühen Auftreten vorkapitalistischer Strukturen führte. Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Katalonien zur industrialisiertesten Region Spaniens. Das damit entstehende Großbürgertum unterstützte den damals in bürgerlichen Kreisen aufkommenden katalanischen Regionalismus, der im Rahmen der gesamteuropäischen romantischen Bewegung gesehen werden muss. Das Katalanische entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder zu einer bedeutenden europäischen Kultursprache.

Nach dem Sturz der Monarchie wurde 1931 die unabhängige Republik Katalonien als Teil einer Iberischen Konföderation ausgerufen. Nicht zuletzt wegen dieses Regionalisierungsprozesses – der als „Auseinanderbrechen der heiligen Einheit Spaniens" empfundenen wurde – erhoben sich 1936 spanisch-nationalistische Militärs unter Führung General Francos. Der Spanische Bürgerkrieg endete mit dem Sieg der Nationalen und Katalonien hatte wegen seiner Republikfreundlichkeit besonders hart unter dem Franco-Regime zu leiden. Das hatte, neben dem Ende der politischen Eigenständigkeit, eine rigorose Verfolgung der katalanischen Sprache und Kultur zur Folge. In den späten 50er Jahren entstand die Nova Cançó Catalana, die sich zu einer breiten Protestbewegung der Katalanen für kulturelle und politische Selbstbestimmung entwickelte. Nach 1975 erlangten die Katalanen Schritt für Schritt ihre unter Franco verlorenen Rechte zurück: 1979 wird mit überwältigender Mehrheit das Autonomiestatut angenommen und seit 1981 regelt ein „Gesetz zur sprachlichen Normalisierung in Katalonien" den amtlichen Gebrauch des Katalanischen, das in Katalonien heute in nahezu allen Lebensbereichen mit der Normalität einer Staats- und Kultursprache verwendet wird.

València (Comunitat Valenciana)

Seit etwa 1500 trennten sich die Wege der Katalanischen Länder und das Bewußtsein einer kulturellen und politischen Einheit ging allmählich verloren, was sich unter anderem in den verschiedenen Benennungen des Katalanischen ( z.B. „llemosí" oder „valencià") in den einzelnen Gebieten zeigt, so auch in València. Die heutige Comunitat Valenciana geht aus dem ehemaligen Regne de València hervor, einem Teilkönigreich der Katalano-Aragonesischen Krone, das im 13. Jahrhundert von den Mauren zurückerobert und von katalanischen, aber auch aragonesischen Siedlern besiedelt wurde. Anders, als in den restlichen Katalanischen Ländern gibt es also in València von Beginn an ein aragonesisch-kastilisches Element, das zu einer sprachlichen Sonderentwicklung  geführt hat. Lange Zeit noch bestand die Bevölkerungsmehrheit aber weiterhin aus arabisch bzw. berberisch sprechenden Moslems, den sogenannten „Morisken". Die Stadt València war im 15. Jahrhundert das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Krone. Mit 75.000 Einwohnern im Jahre 1483 war es die größte christliche Stadt der Iberischen Halbinsel und deren Finanzkapitale. Aus València stammt auch der große katalanische Ritterroman „Tirant lo Blanc". Hier wurde auch (von einer deutschen Buchdrucker) das erste Buch auf der Iberischen Halbinsel gedruckt.


Nach den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts und der Vertreibung der Morisken – die den Verlust eines Drittels (!) der Bevölkerung und den wirtschaftlichen Zusammenbruch bedeuteten – büßte València erheblich an kultureller und ökonomischer Bedeutung ein. Die Hispanisierung des Adels war in València im Vergleich zum Principat und den Inseln sehr früh und wesentlich gründlicher eingetreten. Während der Bürgerkriege und Unruhen des 19. und 20. Jahrhunderts erwies sich València als Bastion eines föderalistischen Republikanismus, dem jedoch der politische Valencianismus bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts fernblieb. Die valencianische Renaixença fand bei weitem nicht den gesellschaftlichen Widerhall wie die in Katalonien, die ihr im übrigen als Vorbild diente. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts begann sich ein politischer Valencianismus zu formieren, wobei in der Sprachenfrage auf valencianische Eigenheiten großer Wert gelegt wurde. Bis heute gilt der valencianische Dialekt des Katalanischen im Bewußtsein der meisten seiner Sprecher als eigene Sprache, was weniger durch die tatsächlichen sprachlichen Unterschiede als vielmehr durch eine allgemein antikatalanische Stimmung in València zurückzuführen ist. Nach dem Tode Francos bekam València ein Autonomiestatut, das 1982 durch eine Volksabstimmung gebilligt wurde. Ein Jahr später wurde von der Generalitat Valenciana das „Gesetz zum Gebrauch und Unterricht des Valencianischen" verabschiedet, das dem Katalanischen jedoch nicht denselben Stellenwert einräumt wie in Katalonien.

Balearen

Auch auf die Balearen gelangte das Katalanische durch den katalano-aragonesischen König Jaume I., der Mallorca im Jahre 1229 von den Mauren zurückerobert und unter den an der Expedition beteiligten katalanischen und aragonesischen Adligen aufgeteilte. Die Inseln Menorca und Eivissa (span. „Ibiza") wurden 1287 bzw. 1235 ebenfalls katalanisch. Ein eigenständiges Königreich Mallorca mit Hauptstadt im rossellonesischen Perpinyà (frz. Perpignan) dauerte nur von 1276 bis 1349, dann fielen die Inseln wieder an die Katalano-Aragonesische Krone. Entsprechend blieb Katalanisch dort ununterbrochen Amtssprache, bis im Jahre 1716 mit dem Dekret von Nueva Planta das Kastilische in dieser Funktion an seine Stelle trat. Der Einfluß des Kastilischen blieb jedoch eng begrenzt auf den Bereich von Verwaltung, Bildung und Literatur und erreichte damit nur einen minimalen Anteil der Bevölkerung – laut einer Statistik aus dem Jahre 1835 waren zu diesem Zeitpunkt auf Mallorca nur 8,7% der Bevölkerung alphabetisiert. Bis nach dem Bürgerkrieg ergab sich, besonders in ländlichen Gegenden, nur selten die Gelegenheit, außer von einem Lehrer, Polizisten oder Beamten, Kastilisch gesprochen zu hören.


Aufgrund ihres ländlichen Charakters und der Insellage haben die Balearen an den großen europäischen Geistesströmungen der Neuzeit nur am Rande oder mit großer Verspätung teilgehabt und sind daher stark konservativ geprägt, weshalb sich ein politischer Regionalismus im 19. Jahrhundert nicht entwickelte. Dadurch ergibt sich ein unterschwelliger ideologischer Konflikt mit Katalonien, wo Aufklärung, Regionalismus, Liberalismus, Arbeiterbewegung, Anarchismus und Atheismus eine breite Basis fanden. In Verbindung mit der kulturellen und wirtschaftlichen Dominanz Barcelonas entwickelte sich „Katalonien" auf den Balearen zu einem populär-populistischen Feindbild. Ähnlich wie in València, geriet während der sogenannten decadència der katalanischen Literatur auch auf den Balearen das Bewußtsein von der sprachlich-kulturellen Einheit der Katalanischen Länder verloren; der Name der eigenen Sprache geriet bei den breiten Bevölkerungsschichten in Vergessenheit und machte regionalen Bezeichnungen wie „maiorquí", „eivissenc" oder „menorquí" Platz.


Die literarische Wiederbelebung des Katalanischen in der Renaixença fand zwar auch auf den Balearen Anhänger, blieb dort jedoch ein minoritäres Phänomen, nicht zuletzt, weil die Autoren eine literarische, pan-katalanische Literatursprache verwendeten, von der sich die Katalanischsprecher der Balearen durch jahrhundertelange Isolation und fehlende Alphabetisierung entfremdet hatten. Das Mallorquinische dürfte wohl derjenige iberoromanische Dialekt sein, der sich sprachlich am stärksten vom Kastilischen entfernt. Die große sprachliche Distanz zwischen dem gesprochenen Idiom und der normativen Schriftsprache stellt heute für die sprachliche Normalisierung ein großes Problem dar. Zwar ist das Katalanische in der autonomen Gemeinschaft Balears erste Amtsprache, doch hat die Mehrheit der (kastilisch alphabetisierten) Mallorquiner Schwierigkeiten, im normierten Standardkatalanischen ihre eigene Sprache wiederzuerkennen.

 

Radatz, Hans-Ingo; Torrent-Lenzen, Aina (eds.), Iberia polyglotta, Titz Axel Lenzen, 2006, 187-193.
2023.06.06~5:10:35

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