Epitelis tendríssims

Carme Riera
Carme Riera
 

Ein bißchen Kälte für Wanda

Heribert hatte schon mehr von den Verrücktheiten und Launen der bildhübschen Wanda reden gehört als von ihrer Schönheit, und obwohl er sie als Knabe häufig besucht hatte, konnte er sich nicht besonders gut an sie erinnern. Als er sie wiedersah, geriet er in größtes Entzücken. Wanda war eine Schönheit, wenn auch keine Puppe, eine prächtige Frau mit riesengroßen, veilchenblauen Augen, die stahlhart wurden, wenn sie die Männer herausforderte, andererseits aber zum sanftesten Blick der Welt fähig waren; Augen, die mit derselben Leichtigkeit begnadigen, zum Tode verurteilen oder beides gleichzeitig konnten, und das mit traditioneller provenzalischer Raffinesse. Heribert stellte sich vor, wie Wanda und sein Vater sich den wollüstigsten Liebesspielen hingaben und schmachtete vor Verlangen. Es half ihm nichts, Automobile durch halsbrecherische Fahrten zu strapazieren, den Wald durch Jagden in Angst und Schrecken zu versetzen oder bis zur völligen Erschöpfung Gymnastik zu betreiben: Er war verrückt nach Wanda. Nicht eine Sekunde konnte er sein Verlangen nach ihr vergessen. Entweder sie würde sein werden oder er würde sterben. Das stand fest ... Er würde an die alte Großzügigkeit seines Vaters appellieren, ihn zum Duell fordern, sich töten ... Es kam jedoch alles viel einfacher. Die beiden Heriberts schlossen einen Pakt. Wenn Wanda damit einverstanden war, würde der Vicomte einen Teil seiner Rechte seinem Sohn übertragen, ja mehr noch, einen peinlich genauen Turnus akzeptieren.

Sicherlich ahnte der junge Bonfoullat in seiner überschäumenden Freude weder, wie teuer ihn diese stürmische Liebe zu stehen kommen sollte, noch was für ein Vermögen er in einer Flut von Diamanten, Tränen und Sperma vergeuden würde.

Alles nahm eines unseligen Sommers in Nizza seinen Anfang; der Sommer war so heiß, daß in Wandas sorgfältigst gepflegtem Garten die Begonien welkten und die Mirabellen vor sich hin vegetierten. Vater und Sohn übertrafen sich gegenseitig an Liebenswürdigkeit, Schmeicheleien und großzügigen Geschenken. Wanda kam mit dem Öffnen der luxuriösen Pakete, die aus den besten Pariser Boutiquen stammten, und dem Anprobieren der sündhaft teuren Modelle, die ihre Chevaliers servants für sie exklusiv bei den elegantesten Modeschöpfern Europas in Auftrag gegeben hatten, kaum nach. Entzückt und glücklich versuchte Wanda, ihnen gefällig zu sein. Sie schenkte ihnen ihr bezauberndstes Lächeln, ihre betörendsten Blicke, ihre glühendsten Worte und aufreizendsten Gesten. Jeden Morgen, wenn sie, in ein langes, verführerisches, duftiges Déshabillé aus cremefarbener Seide gehüllt, aus ihrem Zimmer kam, wünschte sie den beiden, bevor sie sich ins Badezimmer begab (wo sie sich stundenlang im lauen parfümierten Wasser entspannte), eine möglichst angenehme Zeit des Wartens ... Denn Wanda pflegte, sich erst der Liebe zu widmen, wenn die Hitze nachgelassen hatte und die ersten Septembernebel im Anzug waren ... Ja, es war für sie ein Ding der Unmöglichkeit, im Sommer zu lieben. Die drückende Schwüle ließ sie erschaudern, und der Gedanke, einen Körper auf dem ihren oder ihren auf dem eines anderen zu spüren, verursachte ihr eine tödliche Übelkeit, wenn die Temperatur 18 Grad Celsius überschritt.

Wenn aber der Herbst begann, gab sich Wanda, vielleicht auch durch die lange sommerliche Abstinenz stimuliert, völlig den körperlichn Wonnen hin. Dann stand ihr Leben ganz im Zeichen der Wollust, die sie zu empfinden und zu bereiten vermochte. Ihre extravaganten, sinnlichen Liebkosungen waren äußerst erregend, und es kostete Mühe, sich zurückzuhalten, da sich die Stacheln der Begierde kraftvoll in die Leistengegend bohrten. Doch Wanda war auf dem Gebiet der Liebeskünste eine wahre Expertin und verstand es, ihre Geliebten mit erlesenem Zartgefühl und der Raffinesse einer Kurtisane auf die Pfade allerhöchsten Lustgewinns zu lenken; sie wußten genau, so als handelte es sich um eine schmackhafte Gänseleber-Pâté, wann der Punkt, der Augenblick gekommen war, um der aromatischen Trüffel eine Prise roten Pfeffers hinzuzufügen und so jedesmal wieder eine unübertreffliche Überraschung zu vollbringen.

In jenem unseligen Sommer war die Hitze unerträglich. Als die beiden Bonfoullat sahen, daß die Temperaturen immer höher kletterten, zerbrachen sie sich den Kopf, um einen Ausweg aus ihrer verzweifelten Lage zu finden. Der Herbst schien ihnen so fern, so schön und so unerreichbar zu sein wie die Rückkehr der Monarchie in Frankreich. Und Wanda wurde mit jedem Tag verführerischer.

RIERA, Carme. So zarte Haut: Erzählungen. Traducció de Theres Moser. Viena: Wiener Frauenverlag, 1994, p. 77-81

Traduït per Theres Moser